Wie nah ist zu nah – Die richtige Beziehung im Personal Training
Eigentlich hätte ich jetzt Pause. Eigentlich ist der letzte Termin seit 10 Minuten vorbei. Und eigentlich geht es in 20 Minuten schon weiter. Trotzdem stehe ich noch an meiner Studiotür, in ein Gespräch mit dem Klienten verwickelt. Dabei weiß ich genau, dass ich die Pause unbedingt brauche, um wieder Energie zu tanken, mich zu sammeln und auf den nächsten Klienten vorzubereiten. Nur ist es nicht immer leicht, in diesem Moment die Grenze zu ziehen, ohne den Klienten vor den Kopf zu stoßen. Möglicherweise berdückt ihn noch etwas oder er / sie freut sich über ein paar persönliche Worte. Dennoch ist das nur ein Beispiel dafür, dass meine Grenzen andere sind, als die, die der Klient vielleicht wahrnimmt.
Nicht nur wir Personal Trainer sollten uns im Rahmen unserer Arbeit darüber im Klaren sein, wie wir die Zusammenarbeit gestalten wollen und auch müssen, damit sie erfolgreiche Veränderungen herbeiführt. Auch für die Klienten ist die Beziehung zum Trainer eine ganz besondere. Weil sie sich sicher und verstanden fühlen wollen, vor allem auf den schwierigen Teilen des gemeinsamen Weges. Wer sich selbst in Phasen der Schwäche wertgeschätzt fühlt, bleibt eher motiviert, diese gemeinsam mit seinem Wegbegleiter durchzustehen. Eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, geschieht schon, wenn der Klient zur Tür hereinkommt. Bereits da kann ich erspüren, wie die Stimmung ist, ob eine große Erschöpfung da ist oder ziemlich viel Anspannung. Ich kann darauf eingehen und Raum bieten, diese Themen zu bearbeiten. Ich sollte mir nur immer im Klaren darüber sein, ob ich diese Verantwortung übernehmen möchte. Ob ich weitere Details aus dem Leben meines Klienten wissen möchte und damit umgehen kann.
Trainer & Klient: Wer denkt was?
Es gibt also zwei Perspektiven, aus der man die Beziehung zwischen Personal Trainer und Klienten betrachten kann. Für beide ist es oft auch ein Lernprozess, bei dem Fragen aufkommen wie:
- Welche Bindung möchte ich zu meinem Klienten?
- Welche Vorteile hat eine enge Bindung, welche Risiken bringt das mit sich?
- Wie nah kann und möchte ich als Trainer den Klienten an mich heranlassen?
Für den Klienten sind es vielleicht folgende Themen:
- Wieviel kann ich meinem Trainer erzählen?
- Wird er/ sie mich ernstnehmen, verstehen, schwach, unmotiviert, etc. finden?
- Wie kann er / sie mir bei Rückschritten helfen?
- Darf ich ihm am Wochenende eine Nachricht schreiben, weil mich etwas bedrückt, schmerzt?
Denn klar ist auch, wenn wir als Personal Trainer einmal die Position des „Helfers“ (Trainer, Psychotherapeut, Anwalt, Koch etc.) eingenommen haben, wird es meist auch dankend angenommen. Für den Klienten sind wir unglaublich wichtig. Viele haben bereits einen längeren Leidensweg hinter sich gebracht. Deshalb ist es umso wichtiger, die Ängste und Bedürfnisse zu respektieren, gleichzeitig aber auch unsere eigenen Grenzen zu schützen. Das kann z.B. auch der Fall sein, wenn man bei einem Problem nicht weiterkommt und anbietet, einen weiteren Fachmann oder Fachfrau zu Rate zu ziehen.
Schlüsselkompetenzen
Es gibt meines Erachtens so etwas wie einen Heiligen Gral im Personal Training. Dieser ist in meiner Arbeit und meiner Persönlichkeit tief verankert. Empathie. Ohne diese Fähigkeit und den Wunsch, mich in die Bedürfnisse und Emotionen meiner Klienten hineinzuversetzen, diese aufzuspüren und auch entsprechend zu handeln, ist kaum eine Entwicklung möglich, die über das klassische „Pumpen“ hinausgeht. Viele Klienten kommen mit sehr persönlichen Themen zu mir; mit Empathie kann ich sie da abholen, wo sie sich auf ihrem Weg gerade befinden. Mir ist dabei wichtig, dass ich selbst genug Klarheit habe und mich auf meine Stärken besinnen kann. Sobald ich selbst unbearbeitete Themen oder aktuelle „Baustellen“ mit mir herumtrage, fehlt die nötige Distanz und ich bin nicht mehr richtig handlungsfähig. Dann besteht auch die Gefahr, dass man sich die Probleme des Klienten zu eigen macht. Oder plötzlich, getriggert durch den Klienten, eigene Gedanken kreisen. Ich hätte in dem Moment die nötige Distanz verloren. Ich kann den Klienten nicht mehr abholen, weil ich nicht mehr die richtige Perspektive habe. Dabei ist das ein wichtiges Element, vor allem wenn die Themen emotionaler werden. Die Ebene zu wechseln, um z.B. einer weinenden Klientin, Raum zu verschaffen, sich etwas sammeln zu können, indem wir kurz Bewegung einbauen.
Ich bin Ansprechpartner, wenn das Knie im Urlaub zwickt, der Rücken plötzlich schmerzt oder es eine persönliche Herausforderung auf Arbeit gibt. Dann finden Telefonate auch mal am Wochenende statt oder die Nachrichten gehen nach dem geplanten Feierabend hin und her. Das ist okay. Wenn das jedoch überhand nimmt, muss man klar kommunizieren, dass es zu viel ist. Ich muss aufmerksam mit meiner Energie umgehen, auf mich achten. Ich hatte im letzten Sommer eine Phase, in der ich selbst sehr eingespannt und auch mit meiner eigenen Entwicklung beschäftigt war. Um genügend Kraft dafür zu haben, war es einfach notwendig, die Kommunikation dahingehend zu minimieren, dass ich ganz feste Zeiten hatte, in denen ich z.B. Whatsapp Nachrichten beantwortet habe. Vielleicht ist das für Klienten nicht leicht nachzuvollziehen, dass ich mich so herausnehme und mehr Distanz wahren möchte. Nur man darf nicht vergessen, für den Klienten ist man „der oder die Eine“, aber der Trainer hat viele Klienten. Der Fokus ist ein anderer.
Verliebt in den Trainer?
Bei meiner Art zu arbeiten (und der vieler Trainerkollegen und Kolleginnen) kommt es zwangsläufig zu einer großen Nähe. Zum einen auf der körperlichen Ebene, da ich Übungen korrigiere, Bewegungen anleite oder Thai Massagen gebe. Um die Bedürfnisse meiner Klienten aber genau zu kennen, spielt sich auch ganz viel auf der emotionalen Ebene ab. Es bleibt nicht aus, dass ich einen tieferen Einblick in die Gefühle meines Gegenübers bekomme. Das kann beim Klienten erstmal für Verwirrung sorgen. Die Gründe sind verschieden. Vielleicht wird daheim wenig darüber geredet, Bedürfnisse werden ignoriert oder gar nicht erkannt. Manchmal kann es sein, dass es einem erst beim laut aussprechen bewusst wird, was in einem vorgeht. In den seltensten Fällen hat das etwas mit mir zu tun, aber ich bin derjenige, der in diesem Moment da ist, zuhört oder nachfragt. Was dann einfach auch das vermisste Grundbedürfnis erfüllt. In dem Moment ist es wichtig, achtsam zu bleiben und sich zu vergegenwärtigen, was da passiert. Als Trainer kennen wir diese Situationen und wissen, wie wir professionell damit umgehen, wenn plötzlich ein hohes Maß an Nähe da ist. Bis zu einem gewissen Grad versuchen wir das ja aus dem Klienten herauszubekommen, um in der persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Wenn es da z.B. negative Glaubenssätze oder Ängste gibt, ist es schwer, die Ziele zu erreichen.
Für den Klienten kann eine solche Situation sehr irritierend sein. Da ist zum einen die körperliche Nähe und zum anderen die emotionale. Dabei ging es doch primär um Bewegung. Ich gehe in diesem Moment auf die Bedürfnisse ein, weil das zum Trainingsprozess gehört, laufe jedoch Gefahr, zur Projektionsfläche zu werden. Der Klient überträgt Gefühle auf mich, die eigentlich nichts direkt mit mir zu tun haben. Die Trainingssituation ist nie eine alltägliche, sondern immer eine besondere und durch das Überwinden eigener Grenzen gerät man in eine psychische und physische Ausnahmesituation, in der es leicht zu einer falschen Interpretation der Gefühle kommen kann. Einfach ausgedrückt, bringt der Klient z.B. Herzrasen oder Nervosität mit mir in Verbindung. Und interpretiert diese als Gefühlsregungen.
So etwas kann passieren, damit sollte man als Trainer rechnen. Die entscheidende Frage ist, wie man damit umgeht. Kann ich meinem Klienten gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken und die Distanz erhöhen? Ihn oder sie auf meine Grenzen hinweisen, ohne ihnen vor den Kopf zu stoßen. Das kann eine Gratwanderung sein ist aber eben auch ein Muss, wenn man professionell arbeitet.
Es gibt da jedoch auch eine andere Perspektive, die angesprochen werden sollte. Zum Beispiel, ob sich der Trainer nicht insgeheim freut, dass er Avancen bekommt? Denn sind wir ehrlich, in vielen Trainern stecken kleine Narzissten und neben der monetären Entlohnung für unsere Arbeit haben wir noch eine weitere Währung: Bewunderung bzw. Wertschätzung. Natürlich ist es toll, wenn unsere Klienten uns gut finden, vielleicht auch ein bisschen anhimmeln. Und sicher gibt es auch manche Trainer, die solche Dinge bewusst in der Schwebe lassen, um ihre Klienten auch zu einem gewissen Grad „abhängig“ zu machen und weil die Ego-Streicheleinheiten bisweilen auch ganz willkommen sind. Oft ist dieser Weg aber eine Sackgasse. Wenn keiner mehr in der Lage ist, die richtige Mischung aus Nähe und Distanz zu wahren und die Situation genau zu reflektieren, kann es passieren, dass die Erwartungen enttäuscht werden und letztendlich auch keine Zusammenarbeit mehr möglich ist. Die richtigen Fragen wären dann: Warum habe ich mir einen Personal Trainer gesucht? Was sind meine Ziele? Wie sah mein Leidensweg bisher aus? Aber auch: Ist es das wert? Kompensiere ich vielleicht etwas anderes? Welches Bedürfnis erfüllt der Trainer, was ursprünglich nicht seine Aufgabe ist? Aber auch der Trainer sollte sich vor Fragen nicht scheuen. Fehlt mir Bestätigung? Ist mein Privatleben erfüllend? Was brauche ich, um klar und fokussiert mit Klienten umgehen zu können? Gibt es aktuell Stolpersteine? Wenn sich beide auf das eigentliche Ziel besinnen, was zu Beginn der Zusammenarbeit vereinbart wurde, kann man auch aus diesem emotionalen Wirrwarr wieder gestärkt hervorgehen und weiterarbeiten. Ansonsten ist es eher ratsam, über eine Beendigung nachzudenken.
Fazit
Jede unserer Stärken ist auch eine unserer größten Schwächen (oder Ressourcen). Da ich so feine Antennen habe und sehr dicht mit meinen Klienten zusammen arbeite, nehme ich sehr viel wahr. Das kostet Energie, Energie die uns in einem anderen Kontext fehlen könnte. Daher liegt mir dieses Thema auch sehr am Herzen und möchte auf diesem Weg Klienten wie auch Kollegen für dieses Thema sensibilisieren.
So durfte ich bereits 2016 für meinen Freund Timo Bartel einen Artikel für sein Buch „Personal Training ist Teamsache. Gemeinsam mehr bewegen“ beisteuern. Im Text geht es um das Essentielle im Personal Training: Die Beziehung zwischen Trainer und Klient. Unter dem Titel „Die Kunst zwischen Nähe und Distanz“ berichte ich von meinen Erfahrungen mit meinen Klienten. Von Stolpersteinen und tollen Erlebnissen. Davon, wie wichtig eine vertrauensvolle Beziehung zum Klienten ist und ob es auch ein Zuviel gibt.
Wir Trainer lieben unseren Beruf vor allem deshalb, weil es kaum etwas Schönes gibt, als jemanden wieder gesund und schmerzfrei ins Leben zurückstupsen zu können. Dafür lassen wir viele Ideen, viel Wissen und viel Energie in die Betreuung einfließen, dass sich ja nicht nur auf die 60-90 Minuten bezieht, sondern Vor- und Nachbereitung einschließt. Das ist unser Anspruch, um wirklich individuell auf den Klienten eingehen zu können. Um das tun zu können, brauchen wir Energie. Manchmal gibt uns die Nähe diese Energie, z.B. nach einer richtig guten Trainingseinheit. Und manchmal ist es die Distanz. Die Ruhe. Oder das abgeschaltete Telefon.