Wie entsteht Stress?
Das Gefühl, gestresst zu sein, kennt nahezu jeder. Stress ist aus unserer westlichen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Leider haftet dem Begriff fast ausschließlich Negatives an. Dabei ist es wichtig, Stress ebenso als Chance wahrzunehmen, sich selbst besser kennenzulernen und Kompetenzen zu entwickeln, souveräner mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Wie entsteht Stress überhaupt, welche Theorien gibt es dazu und was sollte der erste Schritt in stressigen Phasen sein?
Du willst deine Aufgaben nicht nur gut, sondern perfekt machen? Nachts schläfst du nicht gut, da dich deine Aufgaben noch beschäftigen und du für den kommenden Tag die Agenda durchgehst. Am kommenden Tag bist du nicht gut erholt und fühlst dich leicht erschöpft. Wenn dich dann noch jemand nach einer kleinen zusätzlichen Aufgabe fragt, dann könntest du innerlich kollabieren oder wirst sogar patzig. Später fragst du dich dann, warum du so reagiert hast…
Wenn du dich darin wiedererkennst, dann bereitet dir wahrscheinlich dein Alltag einige Belastungen. Du hast Stress bzw. fühlst dich gestresst. Jeder nimmt die Belastungen des Alltags unterschiedlich wahr und hat einen individuellen Umgang damit. Im Laufe des Lebens entwickeln wir sehr persönliche Reaktionen, die eine aktuelle oder auch andauernde Belastung anzeigen. Im Alltag nehmen wir diese Anzeichen oft nicht ernst oder sogar überhaupt nicht als solche Signale für Stress wahr.
Was ist Stress überhaupt?
Betrachten wir „Stress“ als Forschungsgebiet, dann wurde die Beschreibung von Alarmsituationen von Walter Cannon erstmal um 1914 beschrieben (nach Lazarus & Folkman, 1984). Später entwickelte Hans Selye, der Vater der Stressforschung, im Jahr 1936 daraus die Grundlagen der Lehre von Stress. Somit ist dieses Forschungsgebiet noch eine recht junge Disziplin und bis heute gibt es keine Einigung für eine Definition. Was aus meiner Sicht ein großer Vorteil ist, da Stress immer etwas Persönliches ist und wir jeden Tag mit physischen und psychischen Herausforderungen konfrontiert werden. Vereinfacht: Wir setzen uns mit unserer Umwelt auseinander, was zu einer Anpassung führen kann. Früher waren es bspw. Säbelzahntiger oder das Leben in Höhlen. Heute ist der Säbelzahntiger der Chef oder die Unordnung zuhause bedroht unser inneres Gleichgewicht.
Grundsätzlich ist Stress ein umfassender Zustand. Er hat nicht nur Auswirkungen auf unser Befinden und unsere Wahrnehmung, sondern Stress wirkt ganzheitlich. Dabei geht es noch nicht um die Einteilung in guten (Eustress) und schlechten Stress (Disstress). Stress ganz allgemein hat Auswirkungen auf unser gesamtes System. Dies beinhaltet:
- Wahrnehmung und Verhalten (schnell gereizt sein)
- (subjektives) Befinden und Erleben (der geht mir auf den Keks)
- zelluläre / molekulare Prozesse (schnell erschöpft, keine Kraft)
- körperliche Zustände (häufige Infekte)
Wenn du dich genauer für die Signale deines Körpers interessierst, dann erfährst du im Blog-Artikel „Verstehst du deinen Körper“ etwas mehr darüber. Alternativ kannst du dir hier eine Checkliste für den eigenen Zustand downloaden.
Wie entsteht Stress?
Im alltäglichen bzw. im gesellschaftlichen Sinne wird Stress meist als psychosoziale Dauerbelastung verstanden. Es sind Dinge, die uns Angst machen, uns überfordern oder die wir nicht kennen und dadurch unser System negativ beeinträchtigen. Allerdings kann eine kurzfristige Stressbelastung sogar hilfreich und sehr sinnvoll sein, denn durch eine stressige Situation kommt unser Körper auf Höchstleistung. Stell dir vor, du sollst für einen Kollegen einspringen und musst das aktuelle Projekt vor den neuen Kollegen vorstellen. Dein Herzschlag wird schneller, du bekommst vielleicht ein flaues Gefühl im Magen und fängst an zu schwitzen. Unser System reagiert hier super clever – oft empfinden wir diese Stresssymptome als sehr unangenehm. Aber genau dieses „Unangenehme“ treibt uns dazu, dass wir aktiv nach Lösungen suchen und mehr Leistung abrufen können. Jetzt kannst du dich auf die Signale einlassen oder versuchen, sie zu unterdrücken:
a) Du versuchst deine Stresssignale zu unterdrücken:
Willst du deine Stresssignale unterdrücken, dann greifst du vielleicht zu einem Schokoriegel, es werden mehr Zigaretten oder gar gleich ein Glas Wein zusätzlich. Klar, das sind jetzt schon ordentliche Unterdrücker; sie sollen dir aber die Tragweite besser aufzeigen. In unserem Fall der spontanen Präsentation nimmst du vielleicht „nur“ eine pflanzliche Beruhigungstablette, um die Situation entspannter lösen zu können. Leider wirken diese externen Mittel nur kurzfristig und für einen limitierten Zeitraum. Du bekommst keine (neuen) Kompetenzen, um mit unvorhergesehenen Aufgaben eleganter umzugehen. Stolperst du auf Dauer in solchen Situationen, dann könnte der Zigarettenkonsum steigen, du brauchst nicht nur ein Glas Rotwein am Abend, sondern ein Flasche und schon begibst du dich in eine neue Abhängigkeit. Damit dann aufzuhören bedeutet neuer Stress.
b) Du lässt dich auf deine Signale ein:
In der Tat ist es gesünder, wenn du dich auf die Signale einlässt. Ja, ich kenne auch diese Phasen und es ist zu Beginn alles andere als angenehm. Du fühlst dich überfordert, das Herz schlägt dir bis zum Hals und deine Hände zittern womöglich. Super – dein System ist aktiv. Jetzt bist du munter und kannst aktiv nach Lösungen suchen. Und das Gute: Unser Gehirn lässt uns in dieser Phase nicht allein. Unser Gehirn läuft jetzt auf Hochtouren und wir können Kapazitäten nutzen, die uns im Alltag nicht zur Verfügung stehen. Nur allein die Anzahl der Informationen die wir verarbeiten können, erhöht sich sehr. Nutzt du diese Signale zu deinem Vorteil, dann meisterst du auch schwierige Phasen und kannst von positiven Stress sprechen.
Was passiert, wenn wir aber keine Lösung finden oder es zu einer dauerhaften Belastung kommt?
Diese tolle Funktion des AntiStressSuperhelden-Modus ist leider nicht auf Dauer möglich. Dieser Modus ist nur für ein paar Situationen innerhalb deines Tages konzipiert, aber nicht für eine Dauerbelastung. Wenn dich deine täglichen Herausforderungen immer an oder gar über deine persönlichen Grenzen bringen, du nicht mehr auf dich achtest oder schon spürbare Einschränkungen bemerkst, dann hast du womöglich ein paar Signale übersehen / übergangen. In solch einer Phase wird es immer schwerer, den Superhelden-Modus überhaupt zu aktivieren. Langfristig muss dein System (Körper, Verhalten, Gedanken….) kompensieren. Die Folgen von Dauerstress sind sehr weitreichend und alles andere als gesundheitsfördernd. Daher ist es für den Moment nicht so wichtig, welchem Erklärungsmodell für die Entstehung von Stress du folgen möchtest. Aus meiner Sicht ist es viel entscheidender, dass du nachvollziehen kannst, was dich persönlich stresst und dir Energie zieht.
Mein Fazit: Wie gut kennst du dich?
Die Bedingungen, die in unserem System zu einer Stressreaktion führen, sind von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Dabei kann es selbstverständlich zu den verschiedensten Reaktionen kommen. Doch jetzt wird es erst spannend: Wie gut kennst du deine Reaktionen auf eine stressige Situation oder herausfordernde Phase? Sei in den kommenden Tagen neugierig, wie du dich in unvorhersehbaren Situationen verhältst oder was deine erste Reaktion auf ein Stressthema ist. Später kannst du die Situationen dann noch einmal anschauen und erkennst vielleicht Dinge, die du so noch nicht wahrgenommen hast. Deine Haltung hat sich verändert. Du hast vielleicht gedacht: Immer passiert mir so etwas. Oder du bekommst plötzlich schwitzige Hände und dein Bauch fängt an zu rumoren.
Zum Schluss aber das Wichtigste: Du brauchst Stress. Und zwar richtig. Stress hilft dir, dich weiterzuentwickeln, dir deine Grenzen aufzuzeigen und gibt dir die nötigen Impulse, bestimmte Dinge auch mal nicht zu machen. Wir haben in den letzten Jahren nur verlernt, dieses wunderbare Netzwerkkonzept, das Stress nun mal ist, für uns nutzbar zu machen.